BIRDRACE 2017

Wie das wohl sein muss? Bis zu 24 Stunden auf den Beinen sein und nach Vögeln suchen? So viele wie möglich? Klingt verrückt. Aber irgendwie auch reizvoll. Da hilft nur eins: Ausprobieren. Also habe ich am 6. Mai 2017 an meinem ersten Birdrace teilgenommen und ich denke, es wird nicht das Letzte gewesen sein: Es war beeindruckend, irre, rasant, dufte, rätselhaft, artenreich, charmant und elektrisierend. Zusammen mit zwei Birdrace-erprobten Vogelverrückten sind wir als die PaderbOrnis mit dem E-Bike gestartet und waren beim 14. Birdrace eines von insgesamt 302 Teams in ganz Deutschland. In Paderborn gab es zum ersten Mal zwei Teams: Die CabriOrnis waren – wie der Name unschwer erahnen lässt – mit einem schicken Cabrio unterwegs, ebenfalls zu Dritt.

 

 

Natürlich habe ich mich auf das Ereignis intensiv vorbereitet. Schließlich will ich nicht nur durch mein – altersbedingt – für höhere Frequenzen empfänglicheres Gehör und abwechslungsreiche Verpflegung das Team unterstützen, sondern ich möchte selbstverständlich Vogelstimmen erkennen! Also Vogelstimmen-DVD bestellt. Vogelstimmen-Training mit dem Smartphone und natürlich bei jedem Aufenthalt im Freien. Eine weitere Herangehensweise über die CD des Vogelstimmen-Imitators Uwe Westphal kennengelernt (besonders die Nachahmung der Wasserralle hat mich sehr erheitert, leider haben wir sie „in echt“ nicht gehört). Trainingsrunden mit dem Birdrace-Team. Mein Repertoire hat sich dadurch deutlich erweitert, vielleicht in den Bereich „Anfängerin mit leicht fortgeschrittenen Kenntnissen“. Die anderen beiden Mitglieder, Hans Günter und Jürgen, haben eine Route ausgetüftelt und einen super Überblick, was im Moment wo zu finden sein könnte. Leider wird der Truppenübungsplatz Senne nicht geöffnet sein, da hätten wir bestimmt ordentlich punkten können.

 

 

Am Tag des Birdrace sind wir dann mit zunächst zwei Dritteln des Teams um 5 Uhr in Schloß Neuhaus gestartet – die CabriOrnis waren uns da schon fünf Stunden und ein paar Eulen voraus. Eine friedliche Stimmung am frühen Morgen! Wir fahren vorbei an den Talleseen und lauschen den frühen Sängern: Die Rockröhre unter den Vögeln (Zaunkönig) gibt schon alles. Auch die Amsel als zarter, leicht verrückter Gegenpart ist für mich ein dankbarer Einstieg ins Rennen. Bis wir an unserem vereinbarten Treffpunkt an der Lippeniederung in Marienloh ankommen, können wir unter anderem schon den Hausrotschwanz, Sing- und Wacholderdrossel, Sommergoldhähnchen und Zilpzalp abhaken.

An der Lippeniederung treffen wir dann auf unser fehlendes Drittel – gut so, denn die Rohrammer scheint sich bemerkbar zu machen, aber die fehlt noch in meinem Repertoire! Also muss Hans Günter bestätigen, denn mehr als die Hälfte eines Teams muss die Art gesehen oder gehört haben und sich einig sein. Nur dann darf ein Kreuzchen gemacht werden. Der Feldschwirl surrt dann auch noch wie erhofft, und auf der anderen Straßenseite hören wir eine Gebirgsstelze. Das geht doch gut los, finde ich!

Weiter geht es Richtung Bad Lippspringer Kurwald. An einem Waldstück auf dem Weg halten wir an, weil Hans Günter und ich was gehört haben. Plötzlich gleitet ein Greifvogel (vermutlich ein Mäusebussard) ziemlich nah über uns in das Waldstück, kurz darauf ertönen Laute, die sich wie ein Sperber anhören? Rätselhaft. Ob er auf den einfliegenden Mäusebussard reagierte? Leider blieb er danach stumm, also nix für unsere Liste. Aber auch wenn an diesem Tag der Wettbewerb im Vordergrund steht, sind solche Momente einfach toll. Und der nächste folgt schon kurz darauf, diesmal sogar was für die Liste: Ein dumpfes, langes Trommeln – ein Schwarzspecht! Toll. Bis vor Kurzem war mir nicht klar, dass man auch anhand des Trommelns erkennen kann, um welchen Specht es sich handelt. Langsam geht die Sonne auf. Der Nebel steht auf den Wiesen, eine zauberhafte Stimmung. Frühes Aufstehen lohnt sich! In einer Baumschule hören wir Girlitz, Birkenzeisig und Klappergrasmücke. Cool. Unsere Liste wird länger…

Derweil eine Nachricht der CabriOrnis: Sie haben tatsächlich Kraniche rufen gehört! Eigentlich sind die zu dieser Zeit schon wieder im Norden und wir selbst begegnen ihnen auf unserer Runde nicht. Wir erreichen den Rand des Kurwalds in Bad Lippspringe. Ich beginne hektisch zu klingeln und rufen (an unser Zeichen für „SOFORT anhalten!“ muss ich mich erst noch gewöhnen…) – da sind die anderen beiden doch tatsächlich unmittelbar an einem Buntspecht vorbeigefahren, ohne ihn zu bemerken. So hübsch saß er da am Baumstamm, auf Arbeitshöhe sozusagen. Aber wahrscheinlich hatte Hans Günter schon den Gimpel gerochen, den wir kurz darauf sehen. Jetzt ab in den Wald. Wir wollen Waldbaumläufer und verschiedene Meisen finden. Von Ersterem keine Spur… dafür entdecken wir Haubenmeisen, die kleinen Punker, und hören dann endlich auch noch eine Tannenmeise.

Unser nächstes Ziel ist das NSG Rosenberg hinter Bad Lippspringe. Dort werden wir eine Pause machen und essen, aber bis es soweit ist, laufen oder fliegen uns noch viele, viele Arten über den Weg. Die Goldammer singt unaufhörlich, die Heckenbraunelle ist auch am Start. Plötzlich vier Arten auf einmal: Haus- und Feldsperling, Bluthänfling und Stieglitz! Bei Steinschmätzer und Wiesenschafstelze können wir das nächste Kreuzchen machen, Hans Günter hat echt gute Augen. Jetzt die erste Bergwertung, lerne ich: Es geht den Rosenberg hoch. Wie gut, dass wir E-Bikes haben. Es ist nämlich unglaublich windig. Der Berg ist von Wolken umhüllt und eigentlich würde ich lieber in der Sonne bleiben… aber die Aussicht auf Würger, verschiedene Greifvögel und Kolkrabe motiviert mich. Dann tatsächlich ein absolutes Highlight für uns: Ein Neuntöter!! Er muss gerade aus dem Süden zurückgekommen sein. Passend zum Birdrace. Wir sind noch ganz beflügelt, da fliegt plötzlich eine Wiesenweihe vor unserer Nase lang! Genial. Wenn sich diese Bergetappe mal nicht gelohnt hat. Wir stärken uns, hoffen vergeblich auf Kolkrabe oder Schwarzstorch.

Weiter geht’s! Auf der Hochfläche entdecken wir Schwarzkehlchen, Braunkehlchen, Dorngrasmücke und Baumpieper. Zurück im NSG Lippeniederung dann Wasseramseln! Eine flog direkt über unsere Köpfe, als wir auf der Brücke standen. Eine andere konnten wir auf einem Stein sitzend beobachten. Leider (noch) kein Eisvogel. Auf der weiteren Tour lässt die Schwanzmeise vergeblich auf sich warten, dafür spazieren zwei Weißstörche über ein Feld. Und was sind das für Greifvögel da am Himmel? Turmfalken? Die haben wir schon. Nein – es sind Baumfalken!! An den Talleseen hören und sehen wir einen Trauerschnäpper, perfekt! So können wir uns einen großen Schlenker Richtung Sennelager sparen. Im Schilf dann ein Teichrohrsänger, auch nicht selbstverständlich. Und dann unsere erste Limikole: Ein Flussuferläufer. So kann es weitergehen… Kuckuck, Nachtigall und Mönchsgrasmücke sind immer wieder zu hören.

 

 

Auch im Schloß Neuhäuser Wald, dem Wilhelmsberg, suchen wir vergeblich nach dem Waldbaumläufer. Wo steckt der bloß?? Dafür erwartet uns am Lippesee ein Eisvogel – Hans Günter hat mal wieder den Eisvogel-Blick! Ansonsten ist hier nix zu holen, außer Segelboote und Angler. Wir belohnen uns mit einem Kaffee, das tut guuuuut… Nebenbei sehen wir Mehlschwalben, Rauchschwalben hatten wir schon. Auch die ähnlich wie Schwalben aussehenden Mauersegler waren rechtzeitig zum Birdrace aus ihrem Winterquartier zurück.

Auf unserer letzten Etappe Richtung Steinhorster Becken radeln wir durch das Thüler Feld und die Boker Heide. Zwei Große Brachvögel in den Gunnewiesen… fliegen so schön zusammen und geben auffällige Laute von sich. Hans Günter und ich strapazieren latent Jürgens Nerven, weil wir für rostige Eimer oder Elstern auf Zaunpfählen klingeln ;-). Aber es darf uns schließlich nix durch die Lappen gehen… Wir entdecken noch eine große Gruppe Uferschwalben, Kolbenente, Kiebitze und sogar ein Rebhuhn!! Das entschädigt für die fehlende Rohrweihe. Kiebitz und Rebhuhn werden leider immer mehr zur Rarität.

Jetzt aber ab zum Steinhorster Becken! Die CabriOrnis sind schon da und wir freuen uns, sie dort zu treffen und noch zusammen in der tollen Abendstimmung nach Vögeln zu suchen. Es ist turbulent und der Adrenalinspiegel steigt nochmal an – wer weiß, was sich hier zwischen dem Schilf noch so versteckt?! Ich kann Adrenalin gerade auch gut gebrauchen. Mittlerweile sind wir schon 15 Stunden unterwegs. Die Streifengans sieht ja toll aus! Unsere Liste erfährt nochmal einen deutlichen Zuwachs: Lach- und Silbermöwe, Löffelente, Bruchwasserläufer, Rotschenkel, Austernfischer, Uferschnepfe, Teichhuhn, Hohltaube, Krickente, Knäkente und Kormoran waren mehr als wir uns erhofft hatten. Die CabriOrnis machen sich wieder auf den Weg und wollen noch Waldschnepfe und Ziegenmelker erwischen. Wir überlegen: Nochmal weiter um das Steinhorster Becken fahren und nach Zwergtaucher suchen? Oder beim Café Brinkmeier eine ordentliche Portion Bratkartoffeln essen? Wir entscheiden uns für Bratkartoffeln und Akku laden (unseren mit Bratkartoffeln bzw. Schnitzel, den vom Fahrrad mit Strom).

 

Gegen 22 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg und hoffen auf ein paar Eulen. Und tatsächlich: Schleiereule und Steinkauz machen uns noch die Freude. Super! Etwas schläfrig geht es zurück Richtung Schloß Neuhaus. Meine Ohren verwirren mich. Ich höre Feldlerchen… überall. Dass Hans Günters Fahrrad-Leerlauf kein Feldschwirl ist, weiß ich inzwischen. Die letzten Kilometer ziehen sich. Gegen 23:45 Uhr erreichen wir unseren Ausgangspunkt in Schloß Neuhaus. Der Waldkauz auf dem Waldfriedhof bleibt still. Aber das macht nichts. Mit insgesamt 107 Arten sind wir mehr als zufrieden mit unserem Ergebnis. Dass 19 Stunden so schnell vergehen können, hätte ich nicht gedacht. Trotzdem bin ich wahnsinnig froh, als ich mit 117 Kilometern E-Bike in den Beinen endlich in mein Bett fallen kann. Auch da trällert sie noch, die Feldlerche…

Sarah Z.