Schafbeweidungsprojekt Bielefeld

Wanderschäferei im ostwestfälischen Oberzentrum Bielefeld? Inmitten einer durch Bebauung, Zersiedlung und zahlreiche Verkehrswege eingeengten und beeinträchtigten Landschaft?

Dass dies geht, liegt am landschaftlichen Charakter von Bielefelds Außenbezirken, die drei völlig unterschiedliche Landschaftsräume umfassen: das Ravensberger Hügelland, den Teutoburger Wald und das Ostmünsterland (in Bielefeld ist dies die Senne). Auf engem Raum finden sich hier eine Vielzahl unterschiedlicher Biotoptypen alter bäuerlicher Kulturlandschaften. Aus ackerbaulich nicht sonderlich interessanten Flächen, die als Hutungsflächen (Weideflächen) für Rinder, Schafe oder Ziegen der umliegenden Höfe genutzt wurden, entwickelten sich im Lauf der Zeit oftmals wertvolle Magerrasen. Infolge des agrarstrukturellen Wandels der vergangenen Jahrzehnte mit der damit oft verbundenen Nutzungsaufgabe sind viele dieser Magerrasen heute von Verbrachung bedroht, werden aufgeforstet bzw. überbaut. Diese aus Naturschutzsicht bedeutsamen Flächen sollen erhalten werden und müssen dafür durch Beweidung oder Mahd genutzt werden.

In Bielefeld wurde deshalb ein Schafbeweidungsprojekt begonnen, in dem heute die Stadt Bielefeld, die Forstverwaltung Bethel, die Biologische Station Kreis Paderborn/Senne und die Biologische Station Gütersloh/Bielefeld gemeinsam an der Erhaltung und Entwicklung wertvoller Heiden, Sandtrockenrasen, Kalkhalbtrockenrasen und Feuchtgrünlandflächen im Bielefelder Süden arbeiten. Für die Beweidung werden heute vornehmlich Coburger Fuchsschafe der Forstverwaltung Bethel eingesetzt.

Die Schafherde zieht mehrmals im Jahr aus der Senne in den Teutoburger Wald und wieder zurück. Sie beweidet dabei mehrere Freileitungsstreifen, den Flugplatz Windelsbleiche, einzelne Freiflächen im Bereich des Teutoburger Waldes und Grünlandflächen in der Reiherbachaue. In der Reiherbachaue wird auch das Winterfutter für die Tiere gewonnen werden. Die Biologische Station Kreis Paderborn/Senne übernimmt die naturschutzfachliche Betreuung der Weideflächen im Landschaftsraum Senne, die Stadt Bielefeld und die Bezirksregierung Detmold fördern das Projekt.

 

Die Schafe

Von 1995 bis 1997 wurden graue gehörnte Heidschnucken für die Flächenpflege eingesetzt. Seit 1998 ist die Forstverwaltung Bethel Vertragspartner im Projekt. Seitdem kam die genügsame "Weiße Hornlose Heidschnucke" (= Moorschnucke), die als gefährdete Haustierrasse anerkannt, ist auf den Naturschutzflächen zum Einsatz, wird jedoch bis heute nach und nach durch Coburger Fuchsschafe ersetzt - ebenfalls eine bedrohte Landschafrasse, die sich bei gleicher Eignung für die Flächenpflege mit mehr Fleischertrag besser vermarkten läßt. Zusätzlich zu den Schafen werden Ziegen mitgeführt, die besser in der Lage sind, den Stockausschlag der Gehölze und auch dornige Sträucher wie z.B. Schlehe, Brombeere oder Rosen zu verbeißen.

 

Der Schafzug

Die Beweidung erfolgt als standortgebundene Hütehaltung mit ständiger Präsenz des Schäfers und seiner Hütehunde bei der Herde. Nachtpferche werden auf naturschutzfachlich "unkritischen" Flächen außerhalb der eigentlichen Beweidungsflächen errichtet. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann eine Koppelhaltung auf den Flächen erfolgen. Dadurch soll der Koteintrag auf den Naturschutzflächen minimiert werden, um eine allmähliche Ausmagerung zu erreichen. Ziel ist es, Zeigerarten von Heiden, Sandmagerrasen und Kalkhalbtrockenrasen in ihrem Bestand und ihrer erneuten Ansiedlung zu fördern.

Die Weidesaison der Schafherde beginnt im April/Mai mit dem Schafzug zum "Hainberg" bzw. im Naturschutzgebiet "Ubbedisser Berg" im Teutoburger Wald. In diesen Bereichen mit oberflächennah anstehendem Muschelkalk sollen Kalk-Halbtrockenrasen erhalten und entwickelt werden. Die fachliche Betreuung der Flächen übernimmt die Biologische Station Gütersloh/Bielefeld. Von hier geht es Fläche für Fläche nach Südwesten über den Hauptkamm des Teutoburger Waldes in Richtung Senne. Auf der etwa 4 km langen Tour haben die Hütehunde des Schäfers Schwerstarbeit zu verrichten, damit die Schafe beim Überqueren der Oerlinghauser Straße zusammenbleiben und anschließend beim Anstieg zum Hermannsweg nicht in verlockende Getreidefelder ausbrechen.

Anschließend geht es zur "Haart" unterhalb des Naturschutzgebietes "Hellegrundsberg", wo sich der Muschelkalk des Vorkammes und die südlich vorgelagerten Sandaufwehungen aus der Senne mischen. Dieser geologische Wechsel ist hier in der Vegetation besonders deutlich sichtbar. Weiter führt der Schafzug entlang der "Freileitung Behrendsgrund" parallel zur Autobahn A2 und überquert die B 68 über eine Brücke, bevor die Beweidung einer Binnendüne mit stellenweise noch offenen Sandstellen ansteht. Hier wie auch auf den Leitungsstreifen ist weniger die Ausmagerung als vielmehr das Freihalten der Flächen von Spätblühender Traubenkirsche, Birke und Kiefer das Ziel der Beweidung. Weiter geht es auf die beiden Leitungsstreifen südlich des Schillinghofes bis zum Umspannwerk um dann auf dem Rückweg mit dem Landeplatz Windelsbleiche die letzte Station auf der Schaftrift zu erreichen.

Die Herde hat dann ca. 12 km Wanderstrecke hinter sich gebracht, für eine Wanderschafherde keine große Entfernung. Da einige Flächen auch eine mehrmalige Beweidung vertragen können, durchläuft die Herde diesen Zug mehrmals im Jahr. Auf einem der Wege wird zusätzlich von der "Haart" aus ein Abstecher auf den Freileitungsstreifen am Markengrund unternommen.

 

Landschaftspflegehof Ramsbrock

Die Beweidung erfolgte von 1995 bis 1999 nur saisonal. Die Schafe wurden zu Beginn der Weidesaison mit LKW antransportiert und nach dem Ende der Beweidung wieder abtransportiert. Von Anfang an war aber die Umstellung auf einen Ganzjahresbetrieb vor Ort geplant, der seit 2000 auf Hof Ramsbrock und seit einigen Jahren auch in einem neu errichteten, größeren Schafstall am Schillingshof in Bielefeld-Senne stattfinden kann.

Hof Ramsbrock gehört zu den frühen Ansiedlungen in der Senne. Seine Ersterwähnung finden wir im Ravensberger Urbar von 1556. Die heutige Hofanlage enthält noch die typischen Wohn- und Wirtschaftsgebäude eines Senne-Hofes in gutem Erhaltungszustand: das Haupthaus mit Deele und Wohnbereich, ein mit dem Haupthaus verbundener Schweinestall, eine Fachwerkscheune (historischer Schafstall aus dem Jahr 1733), eine Ziegelscheune, zwei Kotten, eine Mühle und die Leibzucht. Die für die Senne typischen Schafställe sind heute weitgehend verschwunden. Der historische Schafstall auf Hof Ramsbrock hat vermutlich als letzter im Bielefelder Raum die Zeiten fast unbeschädigt überlebt. Er ist ein seltenes architektonisch und kulturgeschichtlich bedeutendes Zeugnis der historischen bäuerlichen Wirtschaftsweise dieser Gegend.

Auf den extrem nährstoffarmen Böden der Senne stellte die Schafhaltung einen wichtigen Erwerbszweig der Bevölkerung dar. Das Viehregister des Amtes Sparrenberg von 1676 nennt für den Hof Ramsbrock 27 Schafe, aber nur 4 Kühe, 2 Rinder, 2 Schweine und 3 Pferde.

 

Mitte der 80er Jahre erwarb die Stadt Bielefeld den zentralen Gebäudekomplex des Hofes Ramsbrock (Haupthaus mit Schweinestall, Fachwerkscheune und Ziegelscheune) mit etwa 100 Hektar land- und forstwirtschaftlichen Flächen, um hier Ersatzmaßnahmen umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist ein Teil der ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen in den letzten Jahren aufgeforstet worden. Etwa 25 Hektar Grünland sollen durch Wiedervernässung und Extensivierung ökologisch aufgewertet werden.

Seit dem Juni 2007 werden Informationen zum Schafbeweidunsgprojekt im Rahmen eines Lehrpfades am Landschaftspflegehof Ramsbrock angeboten. Die Broschüre liegt vor Ort aus, ist aber auch bei der Stadt Bielefeld und der Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne zu beziehen.

 

Kooperation im Sinne des Naturschutzes

Im Bielefelder Schafbeweidungsprojekt arbeiten viele Institutionen im Sinne der Sache erfolgreich zusammen. Seit Beginn der Beweidung besteht von Seiten des haupt- und ehrenamtlichen Naturschutzes eine gute Zusammenarbeit mit den Energieversorgern VEW AG, Preußen Elektra, Wingas GmbH und der Stadtwerke Bielefeld GmbH, die bislang mit hohem maschinellem und finanziellem Aufwand regelmäßig die Sicherheitsbereiche ihrer Leitungstrassen entbuschen mussten. Dies ist nun vorbei. Nach einer Erstpflegemaßnahme halten die Schafe und Ziegen in Zukunft den Gehölzaufwuchs kurz und fördern die lichtbedürftigen Zwergsträucher und krautige Arten.

 

Ergebnisse

Die Biologische Station Kreis Paderborn-Senne betreut das Projekt naturschutzfachlich, indem die Auswirkungen der Beweidung auf Flora und Fauna dokumentiert werden. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass durch die Schafbeweidung in der Bielefelder Senne die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren steigt und dass die Sandtrockenrasen- und Zwergstrauchheidegesellschaften in ihrer typischen Artenzusammensetzung erhalten werden können. Schon jetzt kann festgehalten werden, dass eine andauernde Beweidung zur Ausbreitung typischer Arten sowie zur Zuwanderung weiterer gefährdeter Arten führt. Damit wird ein Landschaftsbild der alten bäuerlichen Kulturlandschaft Senne mit den charakteristischen Pflanzen und Tieren für die Nachwelt erhalten.

Durch die Beweidung sollen nicht nur seltene und gefährdete Arten gefördert, sondern auch "Problempflanzen" des Naturschutzes zurückgedrängt werden. Dies sind Arten, die auf Grund ihrer starken Konkurrenzkraft andere Pflanzenarten verdrängen können. Sie werden erst zu einem Problem, wenn althergebrachte Wirtschaftsweisen, unter denen die Lebensräume entstanden sind, nicht mehr ausgeübt werden. Dann breiten sie sich aus und verändern die Lebensräume vollständig.

Durch die Beweidung wurden z.B. Dominanzbestände von Jakobs-Greiskraut "Auf der Haart" nach 5 Jahren Beweidung bis auf ca. 1% der ursprünglichen Dichte reduziert. Andere Bereiche mit vorherrschender Spätblühender Traubenkirsche, Land-Reitgras oder Brombeere benötigen über mehrere Jahre ergänzend zur Beweidung noch eine Vor- bzw. Nachpflege (Mahd mit Abräumen des Schnittgutes). Aber auch bei diesen Arten zeigen sich Erfolge. Bei geschickter Weideführung verbeißen die Schafe den Stockausschlag der Spätblühenden Traubenkirsche. Dichte, verfilzte Bestände von Land-Reitgras und Brombeere werden von Schafen und Ziegen gemieden. Junge und vereinzelt stehende Sprosse werden dagegegn befressen. Durch Mahd (mitunter mehrmals pro Jahr) mit anschließend sorgfältigem Ausharken des Filzes soll ein verstärkter Verbiß der jungen Triebe erreicht und die ursprüngliche Vegetation gefördert werden.

Die Erfahrungen zeigen, dass die historische Bewirtschaftungsform der Hüte-Schafhaltung aus Sicht des Naturschutzes insgesamt einen positiven Effekt sowohl auf die Entwicklung der Vegetation als auch auf die einiger faunistischer Gruppen hat. Insgesamt werden sich die Flächen mittel- oder langfristig wieder zu intakten Magerbiotopen mit ihrem schützenswerten floristischen und faunistischen Arteninventar entwickeln. Besondere Bedeutung erhält der Schafzug durch seine Vernetzungsfunktion. Die Hütehaltung sorgt in starkem Maße für die Verbreitung von Arten, sei es durch Samentransport im Fell oder in den Klauen und auch dadurch, dass z.B. Heuschrecken als adulte Tiere die Schafe aktiv als Transportmittel nutzen.

Neue Infobroschüre zum Bielefelder Lämmerweg

Die im Jahr 2009 erschienene Broschüre bietet ein reichhaltiges Informationsangebot rund um das Thema "Wanderschafbeweidung im Bielefelder Süden". Auf dem in fünf Teilabschnitte gegliederten Wanderweg können sie die Projektflächen mit ihrer vielfältigen Flora und Fauna erleben. Die Broschüre ist auch als Druckversion bei der Stadt Bielefeld und den Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne und Gütersloh/Bielefeld erhältlich.

 

Kontakt

Frank Ahnfeldt
Biologische Station Kreis Paderborn-Senne
Birkenallee 2
33129 Delbrück-Ostenland
05250 / 70841-12
frank.ahnfeldt(at)bs-paderborn-senne.de

Christian Venne
Biologische Station Kreis Paderborn-Senne
Birkenallee 2
33129 Delbrück-Ostenland
05250 / 70841-19
christian.venne(at)bs-paderborn-senne.de