Das Wildbahn-Projekt

In diesem Projekt werden Senner Pferden zur Landschaftspflege auf Extensivgrünland eingesetzt, gleichzeitig soll das Projekt einen Beitrag zum Erhalt dieser bedrohten Haustierrasse leisten. Die ersten Flächen für das Projekt konnten im Naturschutzgebiet „Moosheide“ eingerichtet werden. Hier begann unter der Leitung der Biologischen Station im Mai 2000 das Versuchsprojekt.

In Ergänzung zu bisherigen Pflegemaßnahmen (Schafbeweidung und regelmäßige Entkusselung) sollte die Beweidung mit Senner Pferden auf ca. 15 Hektar trockenen Grasflächen dazu beitragen, diesen Offenland-Lebensraum zu erhalten bzw. strukturell zu verbessern. In einer dreijährigen Versuchsphase weideten drei bis fünf Junghengste bzw. Wallache während der Weidezeit (Mai bis November) auf den Flächen. Die Besatzdichte wurde bewußt sehr gering angesetzt, um starke Schäden, die bei hohem Viehbesatz auftreten können, zu vermeiden. Da Pferde deutlich schwerer als Schafe sind, schneller laufen und abrupt die Richtung ändern oder stoppen, bleiben kleine Bodenverwundungen auf Grasflächen nicht aus. Dies war aber in dem Wildbahn-Projekt gewünscht, da offene Sandstellen wichtige Kleinlebensräume für bestimmte Pflanzen und Tiere sind, die durch die Pferdebeweidung gefördert werden sollen.

Für die Herrichtung der Weideflächen wurde ein Weidezaun gebaut sowie die Wasser- und Stromversorgung gesichert. Da das Projekt von Anfang an mit knappen Finanzmitteln ausgestattet war, war die finanzielle und praktische Hilfe der Sparkassenstiftung des Kreises Paderborn, der Pesag AG, der Gemeinde Hövelhof, des Kreises Paderborn, der Freiwilligen Feuerwehr Hövelhof und der Stiftung EURONATUR sehr hilfreich.

Die Weiden wurden nicht gedüngt, eine Zufütterung erfolgte nicht. Die Beweidung wurde als Standweide durchgeführt. Die Tiere konnten die gesamte Weidefläche während der Weideperiode nutzen. Die Flächen wurden von öffentlichen Grundeigentümern dem Projekt zur Verfügung gestellt (Kreis Paderborn, Gemeinde Schloß Holte-Stukenbrock und Bundesvermögensamt Bielefeld). Die zuständigen Landschafts- und Forstbehörden gaben ihr Einverständnis zu dem Projekt.

In dem Versuchsprojekt wurde und wird untersucht, wie sich die Weideflächen in Bezug auf die Vegetationsstruktur und die Artenzusammensetzung entwickeln und ob Pferde geeignet sind, solche Lebensräume dauerhaft zu pflegen. Die Untersuchungen dienen auch dazu, eventuelle mit der Pferdebeweidung einhergehende Negativfolgen offenzulegen bzw. vorteilhafte Entwicklungen zu dokumentieren. Aus anderen Gebieten gab es keine vergleichbaren Untersuchungen, so dass mit diesem Projekt „Neuland“ betreten wurde. Das Beweidungsprojekt wurde von Beginn an durch wissenschaftliche Untersuchungen begleitet, die vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben wurden. Da die Wildbahn in einem Naturschutzgebiet liegt, war sicherzustellen, dass die Flächen durch die Beweidung nicht ihren ökologischen und naturschutzfachlichen Wert verlieren. Vor Beginn der Beweidung haben Mitarbeiter der Biologischen Station mehrere Versuchsflächen angelegt, die in Abständen von drei Jahren erneut kontrolliert wurden. Auf diesen Untersuchungsflächen wurden die Bestände seltener Pflanzen, Eidechsen, Heuschrecken und Schmetterlinge erfasst und ausgewertet.

Im Frühjahr 2007 konnte die Beweidungsfläche in Absprache mit den Flächeneigentümern, Jagdpächtern und zuständigen Behörden und mit finanzieller Unterstützung der Bielefelder Firma Oetker auf über 20 ha erweitert werden.

 

Untersuchungsergebnisse

Eine geeignete Methode zur genauen Dokumentation von Veränderungen der Pflanzen- und Tierwelt sind Dauerflächenuntersuchungen. Dazu werden Untersuchungsflächen im Gelände markiert, z.B. mit Holzpflöcken. Zur Sicherheit werden die Eckpunkte zusätzlich mit Kompass und Maßband von unverrückbaren Punkten aus eingemessen (z.B. von markanten Bäumen oder Gebäuden). Die Größe der Probeflächen richtet sich nach der zu untersuchenden Pflanzen- oder Tiergruppe und den Vegetationsverhältnissen.

Für die Dokumentation von Vegetationsveränderungen sucht man sich am besten Grenzbereiche, an denen zwei Vegetationsformen ineinander übergehen. Hier kann man mehrere kleine Dauerflächen hintereinander anlegen und so beide Vegetationsformen und den Übergangsbereich erfassen. Auf den Weideflächen der Senner Pferde wurden drei solcher Transekte mit insgesamt 18 kleinen Probeflächen (jeweils 2 x 2 Meter) angelegt. Für die Beobachtung der Reptilien waren es zwei Probeflächen (jeweils 25 x 50 Meter) und ein Transekt mit 100 Meter Länge, für die Tagfalter vier Probeflächen (jeweils 25 x 50 Meter) und für die Heuschrecken vier Transekte von jeweils 50 Meter Länge. Die Probeflächen wurden vor Beginn der Pferdebeweidung im Jahr 1999 untersucht. In den Jahren 2002 und 2005 wurden die Untersuchungen wiederholt.

Erste Veränderungen sind auf den Beweidungsflächen deutlich wahrzunehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass durch Pferdebeweidung andere Vegetationsstrukturen entstehen als durch Schafbeweidung. Die Einflüsse von Verbiss, Tritt, besonderen Verhaltensweisen (z.B. Scharren und Wälzen) und Nährstoffumverteilungen sind bei Pferden und Schafen grundsätzlich verschieden. Als indirekte Folge wird auch das Mikroklima entscheidend verändert, was wiederum Auswirkungen auf Vorkommen und Verteilungen vieler Pflanzen- und Tierarten hat. Die Artenvielfalt hat bei den Pflanzen stark zugenommen. Auf einigen Untersuchungsflächen wurden die Artenzahlen fast verdoppelt. Gehölze auf der Weidefläche wurden unterschiedlich befressen. An Kiefern waren - mit Ausnahme minimaler Fraßspuren bei einzelnen Bäumen in Nähe der Wasserstelle - keine Fraßspuren zu erkennen. Fraßschäden traten aber an Stämmen von Rotbuche, Eiche, Robinie und Eberesche auf. Am stärksten verbissen waren die Robinien, was insofern erstaunlich ist, als die Rinde als giftig für Pferde gilt. Im Verlauf der Beweidung sind mehrere offene Sandstellen entstanden. Die Pferde wurden beobachtet, wie sie durch Scharren mit den Hufen die lockere Grasnarbe oder die Moosdecke aufrissen. Sobald diese Stellen eine bestimmte Größe hatten, begannen die Tiere, sich hier regelmäßig zu wälzen, wodurch die Bereiche weiter vergrößert wurden. Auf der Weidefläche waren die kleinen Verletzungen der Grasnarbe und die Zerstörung von lockeren Moospolstern durch die Pferde hilfreich, da hierdurch Keimbetten z.B. für die Besenheide geschaffen wurden.

Die selektive Beweidung erzeugt ein Mosaik aus intensiv beweideten Bereichen und Weideresten. Die strukturelle Vielfalt der Flächen wird dadurch erhöht. Dies führt zu einer Heterogenität der Artenverteilung und der Individuendichte, die besonders bei den Heuschrecken deutlich erkennbar ist. In den intensiv beweideten Flächenabschnitten werden Arten wie der Gemeine Grashüpfer oder die Kurzflügelige Beißschrecke seltener. Sie haben eine Vorliebe für höhergrasige Strukturen und ziehen sich in weniger intensiv beweidete Bereiche und die noch großflächig vorhandenen Weidereste zurück. Andere Arten wie Heidegrashüpfer oder Verkannter Grashüpfer werden in den stark beweideten Abschnitten häufiger, da sie von der Auflichtung und Reduktion des Pflanzenaufwuchses profitieren. Die extensive Pferdebeweidung führt dabei bisher nicht zur Herabsetzung der Gesamtindividuendichte der Heuschrecken, was auf eine nicht zu hoch angesetzte Beweidungsintensität schließen lässt. Zu starke Beweidung würde schnell zu negativen Auswirkungen auf die frühen Larvenstadien durch Zertreten führen.

Die Beweidungsintensität führt erstaunlicherweise nicht zur Reduktion des Blütenangebotes, was eminent wichtig für den Fortbestand der blütenbesuchenden Insekten (z.B. Schmetterlinge, Stechimmen, Fliegen, Käfer) ist. Ein Defizit im Blütenangebot kann sich hier direkt auf den Reproduktionserfolg auswirken, da bei vielen Arten die Eireifung nur durch ausreichende Ernährung gewährleistet wird. Einige wichtige Nektarpflanzen (z.B. Berg-Sandglöckchen) nehmen auf den Beweidungsflächen sogar deutlich zu, was wahrscheinlich auf die selektive Beweidung durch die Pferde zurückzuführen ist. Obwohl Blütenpflanzen z.T. auch mitgefressen werden, scheinen sie an manchen Stellen von der Reduktion der Weidegräser zu profitieren. Bei den untersuchten Schmetterlingen waren die höchsten Individuendichten in Bereichen mit großem Blütenangebot festzustellen, obwohl zur Eiablage oft gezielt auch andere Bereiche aufgesucht werden (z.B. Großes Ochsenauge, Ampfer-Grünwidderchen).

Pferde sind für ihre Angewohnheit, Kotplätze einzurichten bekannt. Solche Kot- oder Geilstellen sind auf den Weideflächen bisher nicht zu beobachten. Demzufolge gab es bisher auf der Weidefläche auch keine Probleme mit Weideunkräutern, die Kotstellen anzeigen (z.B. Große Brennnessel). Da eine Nährstoffanreicherung (auch lokal) auf den Naturschutzgebiets-Flächen unbedingt vermieden werden sollte, wurde diese Entwicklung von Anfang an aufmerksam verfolgt. Eine leichte Konzentrierung von Kot ist lediglich im Bereich der Trinkstelle erkennbar. Hier halten sich die Tiere deutlich häufiger auf als an anderen Stellen und kehren auch regelmäßig zurück. Da die Trinkstelle in einem Gehölzbestand liegt und deshalb von Reptilien, Heuschrecken und Tagfaltern weitgehend unbesiedelt ist, treten bei diesen Gruppen keine Effekte auf. In der Literatur werden Geilstellen im Hinblick auf die Vegetation und manche Tiergruppen oft als negativ bewertet, da sich hier stickstoffzeigende Pflanzenarten ansiedeln und ausbreiten können. Durch niedrige Besatzdichten lässt sich die Entstehung solcher Kotplätze anscheinend vermeiden; zudem sorgen die im Senneraum häufigen Frühlings-Mistkäfer für eine rasche „Entsorgung“ der Exkremente.

Im Beweidungsprojekt war für die Strukturanreicherung auf den Beweidungsflächen die Schaffung offener Bodenstellen als Kleinlebensräume für viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten sehr erwünscht. Dieser Effekt wurde durch die Pferdebeweidung erreicht. Offene Sandstellen wurden schnell von gefährdeten Pflanzenarten und auch von Tierarten besiedelt, die an diese warm-trockenen Kleinlebensräume angepasst sind (Zauneidechse, Gefleckte Keulenschrecke). Die Verwundung der Grasnarbe lockert den Wurzelfilz auf und schafft Keimbedingungen für verschiedene Pflanzenarten, wovon wiederum bestimmte Tierarten profitieren (z.B. Ampfer-Grünwidderchen an Kleinem Sauerampfer). Die allgemeine Auflichtung der Vegetationsstruktur fördert gefährdete Arten wie den Heidegrashüpfer oder den Verkannten Grashüpfer.

Für bodenbrütenden Singvögel wie Heidelerche, Baumpieper oder Goldammer sind die Beweidungsflächen nach wie vor sehr attraktiv. Sie erreichen hier hohe Siedlungsdichten. Da besonders Heidelerche und Baumpieper zur Nahrungssuche gerne offene Bodenstellen und kurzrasige Bereiche aufsuchen, profitieren sie evtl. sogar von der Beweidung.

Oftmals wird Schafbeweidung als einziges probates Mittel zur dauerhaften Pflege von Magerrasen angeführt. Die ersten Ergebnisse aus dem Beweidungsprojekt mit Senner Pferden deuten an, dass unter bestimmten Voraussetzungen (trockene Bodenverhältnisse, niedriger Besatz/niedrige Beweidungsintensität) auch eine Beweidung mit Pferden geeignet erscheint, solche Flächen dauerhaft zu pflegen. Bestimmte Pflegeziele sind durch Pferdebeweidung besser zu erreichen als durch Schafbeweidung. Da zählt vor allem eine Erhöhung der Strukturvielfalt durch die Schaffung schütterer Vegetationsstrukturen und offener Bodenstellen.

 

Ausblick

Die Finanzierung des Projektes "Wildbahn Senner Pferde" soll überwiegend über Spenden bzw. Sponsoren erfolgen. Einzelspenden und regelmäßige Zahlungen sollen die kostendeckende Haltung der Pferde wie auch die Aufstockung der Herde ermöglichen. Mehrere Personen und Institutionen haben sich schon zu einer regelmäßigen finanziellen Unterstützung des Projektes bereiterklärt. Das Senner-Projekt lässt sich dauerhaft nur absichern, wenn es eine entsprechende Unterstützung erfährt.

Eine breite Information zu dem Projekt dient einerseits der Akzeptanzsteigerung innerhalb des Naturschutzes, bei politischen Entscheidungsträgern und der Bevölkerung, andererseits der Einwerbung weiterer Finanzmittel. Interessierte Besucher müssen die Pferde beobachten und erleben können ohne sie zu stören. An geeigneten Stellen sind dafür Besucherlenkungseinrichtungen zu entwickeln. Die Stiftung Europäisches Naturerbe EURONATUR, die das Senner-Projekt ebenfalls unterstützt, hat eine kleine Ausstellung erstellt, die transportabel ist und leicht an verschiedenen Stellen aufgebaut werden kann. Mitarbeiter der Station halten Vorträge und führen Exkursionen zu den Flächen der Wildbahn durch.

Im Jahre 2003 ist zum Thema "Rückkehr der Senner Pferde" im TPK-Verlag ein Buch zum Beweidungsprojekt mit Senner Pferden im Naturschutzgebiet "Moosheide" erschienen, das bei uns erhältlich ist. Jetzt bestellen!