Zur Geschichte der Senner Pferde
Menschen und Pferde haben eine lange gemeinsame Geschichte. Nach dem Hund ist das Pferd wohl das Haustier, zu dem Menschen die engsten Beziehungen aufgebaut haben. Pferde sind tagaktive Gras- und Kräuterfresser in Savannen, Steppen und Halbwüsten. Als Herdentiere finden sie Schutz in einem festgefügten Herdenverband. Sie sind mit einem guten Gehör, einem feinen Geruchssinn und mit einem ausgezeichneten Sehvermögen ausgestattet. Die stammesgeschichtliche Entwicklung der Pferde vollzog sich hauptsächlich in Nordamerika, immer wieder erreichten aber Entwicklungslinien auch die Alte Welt. Die Gattung Equus entstand in Nordamerika, starb hier aber vor einigen Tausend Jahren aus. In Eurasien und Afrika überlebte die Gattung bis heute. Hier bildeten sich die heutigen Arten heraus (Pferd, Esel, Zebra). Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden Pferde durch Europäer nach Amerika zurückgebracht. Zur Gattung der Pferde werden heute 8 Arten gezählt: die Wildform des Esels in Nordost-Afrika, 3 fast ausgerottete Halbesel-Arten in Mittelasien, 3 Zebra-Arten in Afrika und unser Wildpferd (Equus przewalskii). Allen gemeinsam ist der kompakte Rundhuf mit nur einer funktionstüchtigen Zehe.
In der ausgehenden Eiszeit vor etwa 15.000 Jahren spielten Wildpferde eine bedeutende Rolle für die Ernährung des Menschen. Wie vorher das Mammut, war jetzt das Pferd der Hauptfleischlieferant für die eiszeitlichen Jäger. Damals wurden Pferde noch nicht als Haustiere gehalten. Erst vor etwa 5.000 Jahren begann die Haltung von Pferden durch den Menschen. Im Übergang zur Bronzezeit, also im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, ist das gezähmte Pferd auch für den Raum Westfalen als Haustier belegt. Der Mensch war mittlerweile sesshaft geworden, betrieb Weidewirtschaft und Getreideanbau. Als Zug- und Tragtiere wurden damals Rinder verwendet, die langsamer liefen und leichter zu lenken waren als Pferde. Vermutlich wurden Pferde ursprünglich zur Fleischgewinnung domestiziert. In der Folgezeit wurden sie aber auch als Zugtiere und Reittiere genutzt. Der "Germania" des römischen Geschichtsschreibers Cornelius Tacitus ist zu entnehmen, dass Pferde um die Zeitenwende von verschiedenen germanischen Stämmen als Reittiere im Kampf eingesetzt wurden.
Die Vorfahren der Senner Pferde lassen sich nicht mehr eindeutig bestimmen. Als wahrscheinlich gilt, daß sie von tarpanblütigen germanischen Hauspferden abstammen. Gelegentlich wurde auch schon die Vermutung angestellt, es könnte sich um Nachfahren von entlaufenen römischen Pferden nach der Varusschlucht handeln, die dann orientalisch beeinflußt wären. Das Erscheinungsbild des Tarpans – der Wildform aller europäischen Pferderassen – kann gut an den Dülmener Pferden in der Wildbahn Merfelder Bruch studiert werden. Im nordwestdeutschen Raum gab es bis zu den Markenteilungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere Wildbahnen. Dies waren unwegsame und unübersichtliche Gebiete im Allgemeinbesitz (Allmenden), in die sich die letzten Wildpferde zurückgezogen hatten. Die Wildbahn Mehrfelder Bruch ist als einzige bis auf den heutigen Tag erhalten. Äußerlich lassen die Senner Pferde Wildpferdeahnen erkennen. Einige Tiere tragen einen Aalstrich, bei manchen Fohlen findet sich in den ersten Lebenswochen eine Zebrierung der Vorderbeine. Bei den Fellfarben tauchen manchmal in den ersten Lebensjahren gelbgraue Wildfarben auf. Erst im Alter von fünf Jahren kann man die Tiere den Grundfarben Schimmel, Brauner, Fuchs und Rappe zuordnen.
Im Jahre 1160 wird zum ersten Mal eine halbwilde Pferdehaltung für die Senne erwähnt. Bischof Bernhard zu Paderborn schenkte dem Kloster Herwidehusen (Hardehausen bei Warburg) den dritten Teil seiner ungezähmten Stuten und belegt damit die vermutlich älteste deutsche Pferderasse. Ein weiterer Hinweis findet sich im Jahr 1493. Die Gemahlin von Graf Bernhard VII. zur Lippe ließ die "wilden perde" zählen und nach Jahrgängen und Haarfarben zusammenstellen. Der Bestand betrug 64 Pferde, darunter 23 Mutterstuten und 18 Fohlen. 1541 wird erstmals die Bezeichnung "Senner" für die hier heimischen Pferde erwähnt. Unter Graf Simon VI. (1554-1613) erreichte das Gestüt hohe Bestandszahlen mit bis zu 200 Stuten. Im Dreißigjährigen Krieg wurden Senner Pferde mehrfach die Beute durchziehender Truppen – ein Rückschlag für das fürstliche Gestüt. 1684 wurden die Gestütsgebäude vom Donoper Teich nach Lopshorn verlegt. Anfang des 18. Jahrhunderts finden sich die ersten Aufzeichnungen über eine geregelte Pferdezucht.
Nach dem ersten Weltkrieg endete die Sennerzucht unter der Obhut des Lippischen Fürstenhauses und wurde erst vom Verband Lippischer Pferdezüchter und seit 1935 durch verschiedene engagierte Privatpersonen weitergeführt. 1971 begann Karl-Ludwig Lackner aus Borgholzhausen mit seiner Familie, den inzwischen stark überalterten Stutenbestand an Senner Pferden systematisch nach den Prinzipien der Lopshorner Zucht zu verjüngen. Seitdem bemüht er sich, geeignete Flächen in der Senne zu finden, um einige Tiere wieder in ihre alte Heimat zurückzubringen. Inzwischen konnte beim Westfälischen Pferdestammbuch zur Sicherung der Sennerzucht ein eigenständiges Stutbuch eingerichtet und die Aufnahme der "Senner" in die World Watch List der FAO (Fachorganisation der Vereinten Nationen für Ernährung, Landwirtschaft, Fischerei und Forstwesen) sowie in die Liste der bedrohten Haustierrassen der Europäischen Union erreicht werden.
Große Bereiche der Senne und des angrenzenden Lippischen Waldes waren jahrhundertelang Lebensraum der Senner Pferde. Die Stuten liefen mit ihren Fohlen ganzjährig frei in der Senne. Die Hengste wurden eingefangen und im fürstlichen Marstall in Detmold als Reit- und Jagdpferde eingesetzt. Diese Haltung verursachte vergleichsweise geringe Kosten. Es wurden lediglich genügend große Flächen benötigt. Auf Grund der geringen Futterqualität auf dem nährstoffarmen Sennesand und der wenigen Wasserstellen waren die Pferdeherden gezwungen, weite Wanderungen auf sich zu nehmen. Es erfolgte eine natürliche Selektion auf Härte, Gesundheit und Ausdauer. Seit 1803 hielten sich die Tiere nicht mehr ganzjährig im Freien auf. In den Wintermonaten wurden sie seitdem in den Ställen des Fürstlichen Gestütes in Lopshorn untergebracht.
Die Senner Pferde sind ein altes Kulturgut der Senne. In den vergangenen Jahrhunderten hatten sie durch ihre Fraß- und Trittwirkung – neben vielen anderen Faktoren – Einfluß auf die Entwicklung der ehemals typischen Heidevegetation. Sie sind somit Teil der Landschaftsgeschichte der Senne. Seit mehr als 80 Jahren weideten Senner Pferde nicht mehr in ihrem angestammten Lebensraum, der Senne.
Damit aber die typischen Eigenschaften dieser Pferderasse nicht verloren gehen, sollen die "Senner" entsprechend ihren ursprünglichen Haltungsbedingungen wieder in der Senne leben können. Ein Wildbahnprojekt erscheint dafür die geeignete Form zu sein.
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